Der Einsatz von Social Media im Abstimmungskampf – Beobachtungen aus St. Gallen

5537457791_2dc474d7c0_oAm vergangenen Sonntag hat die die Bürgerschaft der Stadt St. Gallen über das Projekt zur Neugestaltung von Marktplatz, Bohl und Blumenmarkt abgestimmt. Bei einer Beteiligung von 46.8% der Stimmberechtigten wurde die städtische Vorlage mit 11177 zu 9785 Stimmen abgelehnt.

Gemäss TAGBLATT hat es einen heftigen Abstimmungskampf gegeben.

Gegenwärtig wird allenthalben eine verstärkte Bürgerbeteiligung in politischen Prozessen gefordert. Als Mittel dazu werden vor allem die Werkzeuge der Social Media als geeignet angesehen, also Facebook, Twitter und Co. In diesem Kontext wird auch von ePartizipation (eParticipation) gesprochen.

In den letzten beiden Wochen vor der Abstimmung haben wir den Abstimmungskampf in den Online- und Social Media beobachtet. Nachdem die Marktplatzgestaltung etwas sehr greifbares für jeden stagller Bürger ist, lag die Vermutung nahe, dass die durchaus intensive Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern sich auch Online reflektiert.

Wie waren also Befürworter und Gegner der Vorlage Online aktiv?

Die Stadt St. Gallen hat auf der Website www.marktplatz.stadt.sg.ch offiziell übe das Vorhaben informiert. Im Zentrum der Seite steht eine grafische Animation der Planung, auf der rechten Seite wird zu den Planungsunterlagen verlinkt. Weitere Links sind hier nicht anzutreffen.

OffiziellePageStadtSG(www.marktplatz.stadt.sg.ch, 15. Mai 2011)

Auf der städtischen Bürgerplattform MySG.ch wurde ebenfalls auf der Seite ‚Aktuell‘ über die Vorlage informiert.

Neben den offiziellen Informationen der Stadt wird hier aber auch auf weitere Onlinequellen verwiesen.

MySG - AktuellMySG – Aktuell (15. Mai 2011)

Im Diskussionsforum auf MySG.ch gibt es eine entsprechende Diskussion. Der erste Beitrag wurde am 14. April 2011 erfasst. Insgesamt wurden bis zum 14. Mai 2011 elf Beiträge erfasst, die ca. 1500 Mal abgerufen wurden.

MySG Forum, 15. Mai 2011

MySG Forum (15. Mai 2011)

Die folgende Grafik zeigt die Verteilung der Beiträge über die Zeit vom 14.4. bis 14.5.2011:

AnzahlBeiträgeMySGForum

Das Komitee vernünftiger Marktplatz St. Gallen dokumentiert auf der Website www.wlc.ch diverse Informationen und Argumente gegen die städtische Vorlage. Das Motto „We love Caltrava“ ist auch Namensgeber der Website. Man findet auf der Site Texte, Grafiken, pdf-Dateien und Videos. Die Website besteht aus einer einzigen Seite, die sich über zig Bildschirmseiten erstreckt. Dazu gibt es Hinweise auf die entsprechenden Gruppen auf Facebook.

www.wlc.ch 16Mai2011

www.wlc.ch (16. Mai 2011)

Die Facebook Gruppe Calatrava-Halle St. Gallen muss bleiben & mehr Bäume auf den Marktplatz! wurde gegründet von Marcus D. Waltenberg. Der erste Eintrag datiert bereits vom 16. Januar 2009. Am 16. Mai 2011 hatte die Gruppe 2464 Mitglieder. Die Beiträge auf der Wall stammen zum überwiegenden Teil vom Gründer der Gruppe.

FB Calatrava-Halle St. Gallen muss bleiben & mehr Bäume auf den Marktplatz!(15. Mai 2011)

Die meisten Beiträge bestehen aus Links auf andere Medien, die zum Teil kommentiert werden. ‚Likes‘ oder Kommentare von Nutzern gibt es nur sehr selten.

Interessant zu beobachten ist der Rückgang der Mitglieder der Gruppe in den letzten zwei Wochen vor der Abstimmung:

AnzahlMitgliederFBGruppeCaltrava

Die Facebook Gruppe Kein Ground Zero in St. Gallen: Calatrava muss bleiben wurde gegründet von Hans Peter Oberle. Der erste Eintrag datiert vom 17. Jan. 2009. Die Gruppe hatte am 16. Mai 2011 639 Mitglieder.

FB Kein Ground Zero in St. Gallen   Calatrava muss bleiben(15. Mai 2011)

Auf Twitter war die Diskussion um #MarktplatzSG kaum wahrnehmbar. Kaum ein Dutzend Tweets waren im Zeitraum 1. bis 14. Mai, also in der eigentlich heissen Phase des Abstimmungskampfes, zu registrieren. Vor allem die Stadt St. Gallen (@sanktgallen) hat via Twitter über die Abstimmung informieret (z.B. hier, hier, hier, hier).

Und auch das Abstimmungsergebnis wurde mit einem Tweet bekanntgegeben.

Und auf dem Stadtratblog finden wir genau einen Eintrag zur Abstimmung, und zwar vom 31. März 2011.

Fazit

Eine intensive Diskussion in den Online- bzw. Social Media war in den zwei Wochen vor der Abstimmung kaum wahrnehmbar.

Auf MySG.ch wurden in vier Wochen lediglich elf Beiträge verfasst, die ca. 1500 Mal abgerufen wurden. Und es ist auch keine Intensivierung der Diskussion kurz vor der Abstimmung festzustellen, eher eine rückläufige Entwicklung. Dies wäre bei einem „heftigen Abstimmungskampf“ aber durchaus zu erwarten gewesen.

Die beiden Facebook Gruppen zeigen, dass sich die Gegner bereits früh formiert haben und bereits 16 Monate vor der Abstimmung via Facebook aktiv wurden. Allerdings ist festzustellen, dass in beiden Facebook Gruppen vor allem die Gründer der jeweiligen Gruppen Beiträge verfasst bzw. andere Quellen verlinkt haben, eine intensive Diskussion ist auch hier nicht zu erkennen. Auffällig ist, das in einer der beiden Gruppen in den zwei Wochen vor der Abstimmung die Zahl der Mitglieder sogar zurück ging.

Auch via Twitter bzw. dem Stadtratblog fand faktisch keine Diskussion oder Meinungsäusserung statt. Insbesondere der Blog des Stadtrates wurde schlichtweg nicht für die Kommunikation genutzt: Ein einziger Beitrag zum Thema, dazu bereits Ende März verfasst.

Wie sind diese Wahrnehmungen zu interpretieren? Sicherlich fand zumindest in den Online- und Social Media keine intensive Debatte statt. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise haben sich die Stimmbürger bereits frühzeitig festgelegt und waren an einer Auseinandersetzung nicht interessiert. Oder fand die Auseinandersetzung doch massgeblich Offline statt? Oder informieren sich die Bürger möglicherweise gern Online, aber sind nicht an einer Diskussion interessiert?Oder sind gar die Social Media (noch) nicht das Mittel, um die Bürger zur Diskussion über eine Abstimmung zu motivieren?

Es wäre sicher spannend, diesen Fragen einmal intensiver auf den Grund zu gehen.

Bildquelle: flickr.com/opensourceway (CC Lizenz)

16.4.2012:
Angemeldet zur Blogparade „Social Media für die Bürgergesellschaft“

7 Gedanken zu „Der Einsatz von Social Media im Abstimmungskampf – Beobachtungen aus St. Gallen

  1. Hans-Dieter Zimmermann Beitragsautor

    Danke für den Hinweis auf die Pro- und Contra-Argumente auf politnetz.ch – notabene hat keine der Online-/Social Media sites diese Zusammenstellung erwähnt. Schade.

    Leserbriefe haben ich nicht angeschaut, die Anzahl der Kommentare in den genannten Online-Medien hielten sich sehr in Grenzen, eine nähere Analyse mussten leider aus Ressourcengründen entfallen.

  2. Pingback: FHS eSociety Blog » Social Media für Wahlen 2011 noch kaum relevant !?

  3. Pingback: FHS eSociety Blog » Bericht über die eGovernment 2011 Tagung in Dresden

  4. marcus d. waltenberg

    die gruppe “Calatrava-Halle St. Gallen muss bleiben & mehr Bäume auf den Marktplatz!” verzeichnete teilweise über 3500 mitglieder. über die jahre haben sich sehr viele mitglieder aus der diskussion ausgeklinkt, da die meinunsbildung bereits abgeschlossen war.
    grundsätzlich haben sich öffentlich sehr wenige personen in den jeweiligen social media gefässen geäussert. dies liegt zu einem grossen teil daran, dass kritische kommentare sehr stark unter beschuss kommen/kamen.
    ich kann aber mit sicherheit hier mitteilen, dass die zuschriften über die facebook gruppe und webseite enorm waren.
    dies spiegelte sich auch in den spendenbeiträgen wider, die es ermöglichten, alle haushalte in der stadt mit unserem flyer zu beliefern (postversand).
    ab dem 02. märz 2011 wurde der abstimmungskampf zudem primär auf der strasse geführt, enorm viele personen besuchten uns mittwochs oder samstags an unserem stand. vier wochen vor der abstimmung teilten uns die leute persönlich mit, dass sie bereits schriftlich abgestimmt haben.
    nicht zu vergessen: die auftritte im fernsehen (sf, tvo) und die flut an leserbriefen im st. galler tagblatt.
    abschliessend kann ich hier nur folgende aussage treffen: facebook und später die webseite waren nur die geeignetsten hilfsmittel, informationen an bestimmte personen zu transportieren: äusserst kostengünstig und schneller als (fast) alle anderen medien.

    mfg marcus d. waltenberg

  5. Pingback: FHS eSociety Blog » Social Media für die Bürgergesellschaft – Publikation

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