re:publica 2010 – ein Rückblick

2010_04_14-16_republica2010_Berlin_026Vom 14. Bis 16. April 2010 fand in Berlin die vierte re:publica statt, die wir hier angekündigt haben. An dieser Stelle ein Fazit mit Hinweisen für Quellen der weiteren Berichterstattung.

Die re:publica beschäftigt sich mit verschiedenen Fragestellungen der digitalen Kommunikation im Netz – und die re:publica ist erfrischend anders: Sie ist keine Business- und auch keine Techie-Konferenz, Anzugträger sucht man vergebens, das Publikum ist auffallend jung und bunt. Und als Blogger betrug die Teilnehmergebühr für die drei Tage gerade einmal 70 Euro.

Und das Publikum kam zahlreich: Insgesamt zählte die re:publica über 2500 Teilnehmer, 1000 mehr als im letzten Jahr. In ihrer kurzen Geschichte versammelt die re:publica die deutschsprachige Social Media Gemeinde für drei Tage in Berlin; auch die Vertreter aus der Schweiz waren zahlreich vertreten, wie u.a. dieser Beitrag bei presseverein.ch von @ronniegrob und dieses Foto von @mcschindler belegen.

Das Publikum war – wie kaum anders zu erwarten von Social Media Anhängern – sehr interaktiv, bei fast jedem Vortrag kam es zu lebhaften Diskussionen, oft mussten diese aus Zeitgründen abgebrochen werden. Und natürlich wurde intensiv gebloggt und getwittert (#rp10), über diese Sozialen Medien (und mittels Lifestreams) wurde auch das nicht anwesende Publikum annähernd in Realzeit über die Aktivitäten vor Ort informiert und aktiv mit in die re:publica Diskussionen eingebunden.

Natürlich behandelt die re:publica auch geschäftliche, rechtliche und technische Fragestellungen wie viele Konferenzen und Tagungen dies tun. So wurde z.B. die Frage diskutiert, wie man mit Social Media Aktivitäten wie Blogs Geld verdienen kann und es gab Workshops zu rechtlichen Fragen und innovativen technologischen Entwicklungen. Aber der zentrale Teil der re:publica sind die Präsentationen und Diskussionen zu gesellschafts- und kulturpolitischen Aspekten der digitalen Kommunikation und der Informationsgesellschaft aus – dieser Teil hat auch mich persönlich am meisten interessiert.

Die bekannten Namen unter den Vortragenden fokussierten ebenfalls vor allem die gesellschafts- und kulturpolitischen Aspekte:

Peter Glaser („Die digitale Faszination“) mahnte u.a., dass wir vermehrt Brückentechnologien entwickeln, die nicht nur die Early Adopters und die technologisch Versierten ansprechen, sondern auch die 90% der Weltbevölkerung erreichen, die mit den heutigen Systemen eben nicht erreicht werden. Zu Glasers Vortrag gibt es auf seinem Blog Glaserei einen Beitrag.

Evgeny Morozov („A Twitter revolution without revoluationaries?“) diskutierte die Rolle von Information und (digitalen) Informationsmedien im Zusammenhang mit autoritären Staaten und mahnte eindringlich, die Diskussion nicht nur mit den Kategorien gut/böse zu führen, sondern differenziert hinzuschauen und differenziert zu werten.

Jeff Jarvis beschäftigte sich unter dem Titel „The German Paradox“ mit Fragen rund um Privacy und Publicness und forderte, dass wir uns mehr über den individuellen und gesellschaftlichen Nutzen von Publicness beschäftigen anstelle ausschliesslich mit dem Thema Privacy. Er ergänzt und betont, dass es weniger um Privacy als viel mehr um die Kontrolle über die persönlichen Daten geht. (Videomittschnitt des Vortrags, Videointerview mit Jeff Jarvis bei dctp.tv)

Peter Kruse
(„What’s next – wie die Netzwerke Wirtschaft und Gesellschaft revolutionieren“) – mein persönliches Highlight der re:publica 2010 – zeigte anhand einer aktuellen empirischen Analyse mit eindrucksvollen Visualisierungen auf, wie basierend auf Wertesystemen Menschen auf der Basis von anerkannten Fakten zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen in der Analyse kommen. Er charakterisierte so Digital Residents und Digital Visitors. (Videointerview mit Peter Kruse bei dctp.tv; Folien und Videomitschnitt zum Vortrag)

Geert Lovink beschäftigte sich mit der Frage „Web 2.0-Kritik und Politik der Netzkultur“.

Tim Wu („Net Neutrality and Free Speech“) war einer der vielen Referenten zum heftig diskutierten Thema der Netzneutralität.

Götz Werner („Revolution im Kopf“) plädierte für eine neue Perspektive auf das Verhältnis von EInkommen und Arbeit und diskutierte seine bekannten Forderungen nach einem bedinungslosen Grundeinkommen.

Miriam Meckel („This object cannot be liked“) mahnt vor zu viel Determinismus im menschlichen Zusammenleben und betont, dass der Zufall, die Unberechenbarkeit Basis des Zusammenlebens ist, der überraschende Momente in der evolutionären Entwicklung sozialer Systeme bietet: “Rechnerbasierte Präferenzentscheidungen schliessen die evolutionäre Entwicklung sozialer Kontakte aus“. (Videomitschnitt des Vortrags)

Weitere Themen im eSociety Kontext waren u.a. die Internetzensur, Feminismus und Sexismus oder eParticipation.

Darüber hinaus gab es auch gesonderte Tracks bzw. Subkonferenzen zu Themen wie Netzneutralität, re:campaign über Kampagnen im Netz oder re:learn zum Thema Lernen.

Vor allem diese gesellschafts- und kulturpolitischen Diskussionen der re:publica haben ein breites Presseecho gefunden. In einem Beitrag in der SZ vom 17.4.2010 wird die re:publica als linke Konferenz bezeichnet. Aber die Einordnung in ein traditionelles politisches Schema ist kaum möglich. Sicher gab es linke Argumente, so traut man grossen Konzernen nicht über den Weg und glaubt nicht an Marktmechanismen zur Selbstregulierung .z.B. im Kontext der Netzneutralität. Die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens von Götz Werner wurde zwar von der Mehrheit der Anwesenden sehr begrüsst, aber es gab auch sehr kritische Fragen und Vorbehalte in der Diskussion.

Gleichzeitig wehrt man sich aber auch vehement gegen Restriktionen, Regulierungen und Netzsperrren, kämpft für ein offenes und freies Internet – hier sind also auch durchaus liberale Argumente zu entdecken. Bisweilen hatte man durchaus den Eindruck als wären die Vorstellungen zumindest eines Teils der Netzgemeinde in Teilen naiv und utopisch, aber eben gleichzeitig auch enthusiastisch und engagiert. Aus dem Rahmen fiel leider ein Workshop zum Urheberrecht, den der Referent als Bühne für seine marxistischen Ideen zur Überwindung der Bürgergesellschaft missbrauchte – das war schade, aber die Ausnahme.

Auch die Abendveranstaltungen waren anders als man sie von anderen Tagungen kennt: So gab es am Mittwoch eine Twitterlesung, die für die nicht mit Social Media Vertrauten schon ein wenig befremdlich wirken musste.

Immer wieder erinnerte mich persönlich die re:publica, ihre Themen und ihre Besucher an die Anfänge des E-Commerce in den Jahren 1993/94, als man als Verfechter der Idee des E-Commerce auch nicht selten als naiv und idealisch bezeichnet wurde …

Man kann nur jedem Skeptiker der Social Media eindringlich empfehlen, eine Veranstaltung wie die re:publica unvoreingenommen zu besuchen – für das Schweizer Publikum bietet sich zum Schnuppern auch der Social Media Gipfel in Zürich an.

Eine Liste mit Medienberichten zur re:publica 2010 findet man hier. Und den Blog Spiegel gibt es hier.

Weitere Blogbeiträge zur re:publica von Hans-Dieter Zimmermann sind hier zu finden.

Bildquelle: flickr.com/hdz

4 Gedanken zu „re:publica 2010 – ein Rückblick

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